Oder: wie schafft man es, einen Roman zu Ende zu schreiben?

Tausend Ideen und kein Ende

Ein neuer Einfall hat sich in deinem Gehirn breit gemacht, du öffnest deinen Ordner mit Geschichten – und erstarrst. Das wievielte Mal ist es eigentlich, dass du einen neuen Roman anfängst, ohne ihn zu beenden?

Diesmal wirst du es zu Ende schreiben, flüstert dir deine neue Idee zu. Aber du ahnst schon, dass sie unrecht hat. Du beginnst dich zu fragen, woran es liegt, dass du immer wieder anfängst und dann den Faden verlierst. Dabei schreibst du doch gern!

Mir zumindest ging es genau so. Ein ewiger Kreislauf aus Idee, einige Wochen Spannung, ein Problem taucht auf, und schon ist es wieder Wochen und Monate her, dass ich an der Idee gearbeitet hatte. Worum ging es da eigentlich? Und worauf wollte ich damit hinaus?

Ich war die Herrin der Romananfänge. Oder vielmehr der angefangenen Romane. Nicht dass es klingt, als wären diese Anfänge besonders gut gewesen …

Dann kam mein Studium. Und mit ihm lange Bahnfahrten. Anfangs habe ich gelesen. Oder aus dem Fenster geschaut. Geträumt. Aber irgendwann habe ich mir einen Ruck gegeben. Warum sollte ich diese Zeit so sinnlos verstreichen lassen (natürlich ist Lesen niemals sinnlos!)? Ich habe ein Notizbuch eingepackt und jeden Tag geschrieben (einen Laptop konnte ich mir nicht leisten). Bald schon brauchte ich ein neues Notizbuch, dann noch eins. Nach dem vierten (nicht mehr ganz vollen) Notizbuch war es da: das allererste Ende.

Was sind also meine Tipps, damit es auch für dich mit dem „Ende“ unter deinem Roman klappt?

Kontinuität und Routinen

Du siehst schon, was bei mir die Wende gebracht hat: jeden Tag zu schreiben. Schau dir deinen Tagesablauf an. Findest du eine Lücke, in die das Schreiben für dich passt? Kannst du einen Raum schaffen, ihn im Optimalfall an eine andere Gewohnheit anknüpfen? Zum Beispiel: „Immer wenn ich meinen Morgenkaffee trinke, schreibe ich 15 Minuten.“

Für mich kam irgendwann die Erkenntnis, dass viele kleine Schritte mich weiter bringen, als ein riesiger Hopser, den ich plane, aber nie machen werde. Weil ich nicht die richtigen Schuhe anhabe. Weil der Boden matschig ist. Das war ein großer Schritt, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn: wenn ich jeden Tag hundert Wörter schreibe, habe ich nach vierzehn Tagen 1.400 Wörter. Das ist nicht viel, sicher nicht, aber das sind exakt 1.400 Wörter mehr als ich geschrieben hätte, wenn ich zwei Wochen lang auf DEN Moment gewartet hätte, wenn ich Zeit und Muße bekomme, zu schreiben (und der nicht kommt, erwartungsgemäß).

Dann habe ich noch etwas aus meinem Leben verbannt: das Warten auf den Musenkuss. Die Vorstellung, die viele Schreibanfänger haben, dass man immer dann schreiben muss, wenn besagter Knutscher kommt. Die große Inspiration. Ja, das macht Spaß, aber zu einem Ende unter dem Text führt das nicht. Aber: wenn man jeden Tag schreibt, kommt man in einen guten Flow, denkt oft an die Geschichte und fühlt sich tatsächlich viel häufiger inspiriert.

Der innere Kritiker

Der nächste, der gehen musste, war der „innere Lektor“. Diese kleine, innere Stimme, die ständig an allem rumnörgelt: „Willst du das jetzt wirklich so schreiben?“ oder „Das ist jetzt aber nicht das perfekte Wort für die Stelle.“ Diese Stimme – sofern sie sich benimmt und nicht gemein wird – hat ihre Berechtigung. Aber erst im nächsten Schritt: der Überarbeitung.

Das, was wir als Allererstes schreiben, nennen Autoren den ersten Entwurf bzw. Erstentwurf (engl. First Draft) oder Rohfassung. Natürlich gibt es noch tausend andere Namen. Wichtig ist: der erste Entwurf ist eine Skizze. Und darf doof sein. Das ist schwierig, und ich kenne Autor*innen, die erfolgreich so arbeiten, aber für die meisten, besonders Anfänger, ist es meiner Erfahrung nach nicht zielführend, wenn sie jedes Wort auf die Goldwaage legen, jeden Satz und jede Seite sofort korrigieren. Für mich ist es wichtig, im Schreibflow zu bleiben, um dranzubleiben, bis das Ende geschrieben ist. Dann kann ich überarbeiten, denn dann habe ich etwas zum Überarbeiten. Oft bringt dieses sprachliche Polieren auch gar nichts, wenn man später Szenen löschen, tauschen oder umschreiben muss.

Es ist also wichtig, einen ersten Entwurf herunterzuschreiben. Ein Ende erreichen die meisten Autor*innen mit Kontinuität. Regelmäßig und routiniert schreiben. Sich Babyschritte vornehmen und Gewohnheiten schaffen. Zudem ist es wichtig, sich selbst zu erlauben, „schlecht“ zu schreiben. Im zweiten Teil schauen wir uns an, wie wir sinnvoll Ziele setzen und was es sonst noch braucht, um auf dem Weg zu bleiben. Ich hoffe, wir lesen uns dann wieder!

Nachtrag: Hier geht es weiter mit Teil 2!